Pig of the month:
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Schweine
Bis vor einiger Zeit glaubte man, das Hausschwein stamme von zwei Wildformen ab. Heute herrscht Einigkeit darüber, daß nur eine Art als Vorfahre in Frage kommt: das Wildschwein (Sus scrofa). Der frühere Irrtum ist verständlich. Die Wildform bevölkert ein riesiges Gebiet, dessen Nordflanke zwischen 50. und 55. Breitengrad liegt und das von Westeuropa bis Ostsibirien reicht. Im Süden geht das Verbreitungsgebiet bis Indien und südlich des Äquators bis zur indonesischen Inselwelt. Innerhalb dieses Gebietes kommen drei Unterarten vor, die sich in vielen körperlichen Merkmalen deutlich unterscheiden. Zwei Domestikationszentren des Schweines liegen im Bereich der Unterart Sus scrofa scrofa, also des europäischen Wildschweines. Es sind dies der östliche Mittelmeerraum und das Gebiet südlich der Ostsee. Das dritte Zentrum der Domestikation liegt in Südostasien. Hier gingen Hausschweine aus der Unterart Sus scrofa vittatus, dem Bindenschwein, hervor.
Bis zum 18. Jahrhundert wich das Leben der europäischen Hausschweine nicht grundlegend von dem der Wildschweine ab. Durch die Haltungsbedingungen waren sie nicht gegen klimatische Unbilden abgeschirmt. Ihr Futter mußten sie überwiegend in den Wäldern selbst suchen, und sie bekamen nur Abfälle zugefüttert. Zudem dürfte gelegentlich ein Keiler in ihr Gehege eingedrungen sein, um eine Sau zu decken. Die Folge war, daß sich Hausschweine bis zu dieser Zeit im Typ kaum von Wildschweinen unterschieden. Es waren langbeinige schlanke
Tiere mit langem gestrecktem Kopf und einem deutlichen Borstenkamm auf dem Rücken. Noch um 1800 betrug das Schlachtalter von Schweinen in Deutschland 11/2 Jahre; ihr Gewicht lag damals bei 50 kg.
Erst Ende des 18. Jahrhunderts begann man das Schwein umzuzüchten, und zwar zunächst in England. Drei Voraussetzungen waren hier erfüllt:
1. Die beginnende Industrialisierung schuf wachsenden Wohlstand und damit eine größere Nachfrage nach Fleisch und Fett.
2. Steigende Einsicht in die Erfordernisse führten zu besserer Bodenbearbeitung und damit zu höheren Erträgen. Schweine konnten jetzt besser ernährt werden.
Durch einen weitreichenden Seehandel konnten die Engländer Schweine aus Ostasien in ihre Heimat bringen, wo diese mit einheimischen Schweinen gekreuzt wurden. Hinzu kamen neapolitanische Schweine, die ursprünglich auch aus Südostasien stammten.
Das Ergebnis waren frühreife Schweine mit starkem Fettansatz, die allerdings nicht sehr fruchtbar waren. Geblieben ist bis zur Gegenwart als Erbe der südostasiatischen Form der kurze Kopf mit der eingedellten Nasenlinie (Sattelnase). Die höhere Leistung des neuen Schweinetyps ist zwar teilweise darauf zurückzuführen, daß Zuchttiere aus weit auseinanderliegenden Gebieten mit sehr unterschiedlichem genetischen Material genommen wurden (Heterosiseffekt). Es darf jedoch die großartige züchterische Leistung keinesfalls übersehen werden, die in England zu großwüchsigen, fruchtbaren Schweinen führte.
Ab 1860 kamen diese robusteren, dem damaligen Zuchtziel besser entsprechenden Schweine von England auch nach Deutschland und wurden hier in die unveredelten Landschläge eingekreuzt. Bis zum Ende der Nachkriegszeit wurde bei uns ein großrahmiges und tiefrumpfiges Schwein im Typ des Fettschweins gezüchtet, das fähig war, große Mengen wirtschaftseigenen Futters (insbesondere Kartoffeln) zu verwerten. Bis zu dieser Zeit hatten veredelte Landrassen wie das Angler Sattelschwein und das Schwäbisch-Hällische Schwein und sogar das Deutsche Weideschwein als unveredeltes Landschwein noch eine Marktchance.
Ende der 50er Jahre änderte sich innerhalb kurzer Zeit die Verbrauchererwartung. Jetzt wurde zartes, saftiges Fleisch mit möglichst wenig Fett verlangt. Der Käufer war bereit, für die bevorzugten Fleischpartien - Schinken, Kotelett und Filet - mehr zu zahlen. Daraufhin wurde das Schwein so gezüchtet, daß es einen möglichst großen Anteil fleischreicher Teilstücke enthält. Diese Entwicklung führte zu langen, mageren Schweinen (ein Rippenpaar mehr als früher) mit ausgeprägtem Schinken und z. T. weit vorquellenden Schultern (Vier-Schinken-Schwein).
Mit starker Fleischwüchsigkeit sind häufig hohe Streßanfälligkeit sowie Abweichungen in der Fleischfärbung verbunden. Es besteht darüber hinaus ein Zusammenhang zwischen Fleisch-beschaffenheit und Streßanfälligkeit. Abweichungen in der Fleischfärbung und in der Fleischbeschaffenheit liegen in Form des PSE- und des DFD-Fleisches vor. P, S und E sind die Anfangsbuchstaben von den englischen Wörtern pale = blaß, soft = weich und exudative = wäßrig. D, F und wiederum D stehen für dark = dunkel, firm = fest und dry = trocken. Eigentlich müßte PSE- und DFD-Fleisch nach den Ausführungsbestimmungen A im Fleisch-hygienerecht Deutschlands als minderwertig oder gar untauglich zum Genuß für den Menschen eingestuft werden, weil es wäßrig und stark verfärbt ist bzw. hinsichtlich Zusammensetzung und Haltbarkeit von der Norm abweicht. Diese Bestimmungen lassen sich jedoch offenbar nicht durchsetzen.
Streßempfindliche Tiere können seit einigen Jahren frühzeitig erkannt werden. Jungtiere im Gewicht von ungefähr 20 kg werden kurzzeitig mit dem Narkosemittel Halothan betäubt. Bei streßanfälligen Tieren verkrampft sich während der Narkose die Muskulatur. Solche Schweine werden als halothanpositiv bezeichnet und scheiden aus der Zucht aus. Auf diese Weise können halothan-negative Linien aufgebaut werden. Ansatzweise ist zudem eine Änderung in den Verbrauchergewohnheiten zu bemerken: es wird langsam erkannt, daß Fett ein wesentlicher Aromaträger ist, man durch einen erhöhten Fettanteil also schmackhaftes Fleisch bekommt, das zudem in der Pfanne nicht schrumpft. Dadurch könnte in Zukunft eher wieder ein anderer, weniger streßanfälliger Schweinetyp gezüchtet werden. Es sei betont, daß die Fleischqualität von weiteren Faktoren wie Rasse, Alter, Geschlecht, Fütterung und Haltungsmethoden abhängt.
Die in Mitteleuropa gehaltenen Schweine sind überwiegend weiß. Bei teilweise pigmentierten Rassen wurden entweder weiße Linien aufgebaut (z. B. Pietrain), oder man züchtete auf einen geringeren Anteil an pigmentierter Haut (z. B. Angler Sattelschwein). Auch diese Tendenz ist auf die Verbrauchererwartung zurückzuführen. Zwar glaubt heute sicher niemand mehr, daß schwarze Schweine schwarzes Fleisch besitzen, wie dies noch 1924 angenommen wurde. Allerdings empfindet der Verbraucher die nach dem Schlachtvorgang auf der Haut verbliebenen schwarzen Borsten als abstoßend. Wenn das Pigment nur in den oberen Schichten der Haut enthalten ist, brühen die Tiere weiß, weil diese Schichten bei entsprechender Brühtemperatur beim Entfernen der Borsten mitentfemt werden.
Der Anteil reinrassiger Tiere ist bei Schweinen kleiner als bei den übrigen Nutzsäugern. Dies ist das Ergebnis der gängigen Zuchtmethoden. Nur einige reinrassige Tiere werden in Reinzucht fortgepflanzt. Üblicherweise betreibt man Kreuzungszucht, verpaart also geeignete Tiere verschiedener Rassen miteinander.
Weltweit werden nahezu 800 Millionen Schweine gehalten. Zentren der Schweinehaltung sind China mit angrenzenden Ländern (hier ist noch ein völlig anderer Typ gefragt), Europa sowie Nordamerika. In großen Gebieten der Erde werden aus religiösen Gründen keine Schweine gehalten. In Islam und Judentum gilt das Schwein als unrein und darf nicht gegessen werden. Andere Regionen, insbesondere Tropen und Subarktis, eignen sich aus klimatischen Gründen nicht für die Schweinehaltung.
Es gibt keine Tierart von ungefähr der gleichen Größe, die auch nur annähernd die Fruchtbarkeit des Schweines erreicht. Sauen werden mit sechs Monaten geschlechtsreif, werfen zweimal im Jahr und bringen pro Wurf 8-14 Ferkel zur Welt. Das bedeutet, daß ein weibliches Zuchttier ausreicht, um viele Schlachtschweine zu erzeugen. Das Ergebnis ist eine rasche Generationsfolge und damit eine breite Basis für die Auswahl bester Zuchttiere. Nur so lassen sich der rasche Zuchtfortschritt und die schnelle Reaktion auf Veränderung der Verbrauchererwartung erklären. Dennoch ist es auch in der Schweinezucht wünschenswert, die dem augenblicklichen Zuchtziel nicht ganz entsprechenden Rassen zu erhalten. Es sollte nicht vergessen werden, daß nach dem 2. Weltkrieg, als noch andere Erwartungen im Vordergrund standen, sogar das Pietrainschwein fast ausgestorben wäre. Gegenwärtig schenkt man den veredelten Landrassen wieder vermehrt Aufmerksamkeit.
Bei keiner Nutztierart ist die Zahl der verbliebenen Rassen so gering wie beim Schwein. Einige werden nur noch in wenigen Beständen gehalten, so daß die fünf häufigsten Rassen in Deutschland heute allein 97,5 % der Herdbuchtiere ausmachen. In der Schweiz ist die Situation noch extremer. Während in Deutschland jedoch die Landrasse weitaus überwiegt und das Edelschwein fast nur noch lokale Bedeutung hat, gehören in der Schweiz die meisten Zuchtsauen dem Edelschwein an. Die Landrasse ist hier nur zu weniger als 15 % am Zuchtsauenbestand beteiligt.